Ist es sinnvoll, Medikamente für Schwangere an Mäusen zu testen?
Die Plazenta oder der Mutterkuchen ist das Organ, dass während der Schwangerschaft den ungeborenen Nachwuchs versorgt. Im Vergleich zwischen den Arten, die eine Plazenta ausbilden, zeigt sie die größte evolutionäre Vielfalt unter den Organen. Daraus folgt, dass jede Plazenta so artspezifisch ist, dass menschenspezifische Eigenschaften auch an menschlichen Zell- und Gewebeproben dieses Organs untersucht werden sollten. Trotz dieser Tatsache werden in der Forschung weiterhin Mäuse und andere Tierarten eingesetzt.
Mäuse sind im Tierversuch nur scheinbar ideal: In ihrer Winzigkeit benötigen sie wenig Platz in den stapelbaren kleinen Käfigen. Sie vermehren sich schnell und sind günstig in der Versorgung. Diese praktische Wirtschaftlichkeit täuscht aber über den Sachverhalt hinweg, dass Mäuse nach 75 Millionen Jahren getrennter Wege in der Evolution große Unterschiede zum Menschen aufweisen und Versuche an ihnen kaum Erfolge bei der Bekämpfung von Krebs und anderen Krankheiten des Menschen vorweisen können. Im Gegenteil führte die Übertragung des Wissens von Mäusen auf menschliche Patienten schon einige Male zu tragischen Todesfällen. Die Vorhersagbarkeit der Toxikologie von im Tierversuch gefundenen Wirkstoffen liegt tatsächlich nur bei 53-60% – kaum mehr als die Wahrscheinlichkeit von Kopf oder Zahl – man könnte meinen, ein Münzwurf würde hier viel Leid ersparen.
Kann man Menschen und Mäuse für die Forschung gleichsetzen?
Mäuse haben zwei Plazenten pro Embryo, Menschen nur eine. Mehrere Hormone, die von der menschlichen Plazenta gebildet werden, fehlen bei Mäusen. Entstehung, Tiefe der Anheftung und Aufbau unterscheiden sich stark. Lediglich die Art und Weise, wie die vom Embryo gebildete Plazenta mit dem mütterlichen Blut in Kontakt kommt, gehört zur gleichen Klassifikation. Allein das Vorhandensein einer zweiten Plazenta in Nagetieren, lässt schon den Laien kritisch die Augenbrauen heben. Ob ein Medikament, dass die Mutter während der Schwangerschaft einnimmt, beim Kind ankommt, hängt von den zu überwindenden Barrieren ab. Eine zweite im Menschen nicht vorhandene Schranke, schützt möglicherweise nur den Mausembryo vor einem Wirkstoff. Auch Interaktionen zwischen Hormonen und einem Wirkstoff können in der Maus nicht ausreichend untersucht werden. Beispielsweise produzieren Maus-Plazenten keine Östrogene, eine Funktion, die für die menschliche Plazenta lebenserhaltend ist. Andere, erst ab den Primaten vorhandene Hormone, fehlen in Nagetieren gänzlich. Ein gängiger Schwangerschaftstest würde bei einer trächtigen Maus ein negatives Signal zeigen, da ihr das humane Schwangerschaftshormon fehlt – dieses Choriongonadotropin kommt nur in Primaten vor. Mögliche Wechselwirkungen zwischen solchen spezifischen Hormonen und dem Wirkstoff können in der Maus daher nicht analysiert werden.
Sollte man besser an dem Menschen näher verwandten Tieren forschen?
Die Ausweitung von Tierversuchen auf weitere und speziell dem Menschen näher verwandte Tiere birgt eine ebenso hohe Fehlerquelle, wie der Vergleich zwischen Mensch und Maus. Auch Schimpansen, als unsere nächsten Verwandten, zeigen markante Unterschiede zum Menschen. Allein schon der Faktor Neu5Gc macht das überdeutlich. Alle Säugetiere tragen diesen Faktor auf der Zelloberfläche. Einzig beim Menschen fehlt er. Über die Nahrung wird dieser Faktor aufgenommen und in menschliche Zellen eingebaut, auch in die Plazenta. Dieses trojanische Pferd wird nun aber vom Immunsystem als nicht körpereigen erkannt und angegriffen. Chronische Entzündungskrankheiten, aber auch die Präeklampsie in der Schwangerschaft, werden mit diesem Vorgang in Verbindung gebracht. Und vor allem Schwangeren wird geraten, mehr Milchprodukte und rotes Fleisch zu konsumieren, um ausreichend Calcium sowie Eisen aufzunehmen, möglicherweise mit unbedachten Folgen.
Geht es überhaupt ohne Tierversuche?
Bleibt die Frage, woran sonst geforscht werden soll, wenn Artunterschiede jedes sogenannte Tiermodell mit unvorhergesehenen Falltüren versehen? Die Antwort liegt uns sozusagen auf der Zunge. Ein immer stärker werdender Forschungsbereich setzt sich mit Alternativen zum Tierversuch auseinander und arbeitet an menschlichen Zellen und Geweben. Vor allem die Plazenta birgt ein großes Potenzial. Nach der Geburt kann sie als Organ noch mehrere Stunden im Labor mit verschiedensten Wirkstoffen und Methoden untersucht werden. So kann die Fähigkeit eines Wirkstoffes über das mütterliche Blut zum Kind zu gelangen direkt am gespendeten menschlichen Organ untersucht werden. Warum nicht gleich so?
Quellen:
Schmidt, A., et al. (2015): Only humans have human placentas: molecular differences between mice and humans. J. Reprod. Immunol. 108, 65–71.
Placenta-Labor, Universitätsklinikum Jena, Bachstr. 18, 07743 Jena, Germany, www.placenta-labor.de.Eine Abbildung zur Veranschaulichung des Plazenta-Vergleichs zwischen Maus und Mensch: Deutlich ist der Mausembryo innerhalb der zweiten sogenannten Dottersackplazenta zu sehen, neben dem menschlichen Embryo liegt der zurückgebildete humane Dottersack (in gelb).
In Mikkola, H.K.A. und Orkin, S.H. (2006): The journey of developing hematopoietic stem cells, Development 133, 3733-3744.